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26.07.2019

31. Etappe: Ziele erreichen ist nicht alles

München-Venedig-München (2019)

31. Etappe: Ziele erreichen ist nicht alles

Der 31. Etappentag mit Ziel Venedig hat es noch einmal in sich. Es gibt zwei Varianten, um von Fossalta de Piave nach Venedig zu kommen. Variante 1: über Jesolo und dann am Meer entlang und mit dem Schiff nach San Marco. Eigentlich braucht man dafür 2 Tage, weil es über 50 km sind. Variante 2: der direkte Weg zum Flughafen Marco Polo, 35 Kilometer und hauptsächlich Landstraße und dann mit dem Schiff in die Stadt aus einem anderen Jahrhundert. Nach der Erfahrung des Vortages mit der flachen und heißen Etappe und den aufgeschwollenen Füßen, entscheide ich mich für die kürzere Variante 2, zumal ich bei einem frühen Start kurz nach 6:00 Uhr noch die Chance habe, meine Frau Hanne vom Flughafen abzuholen.

Um es kurz zu machen, die Etappe war wandertechnisch ein Elend und nur mit der Perspektive zu ertragen, dass es die letzte ist, um nach Venedig zu kommen. Kopf und Körper sind müde und sehnen sich nach Ruhe und danach, endlich ans Ziel zu kommen. 

Aufbruch mit Ziel Venedig

So starte ich kurz nach 06:00 Uhr und dennoch, es wird sehr schnell wieder heiß. Die Füße schwellen erneut und noch mehr als am Vortag an und diesmal sogar so heftig, dass die Schuhe zu klein werden. Da die Schuhe mit der Einlaufphase und dem Weg nach Venedig inzwischen fast 1.000 km auf dem Buckel haben und an vielen Stellen auch gebrochen oder durch Steineinwirkung aufgerissen sind, schneide ich kurzerhand die Seiten auf. So haben die kleinen Zehen wieder Platz und der Druckschmerz an den Seiten lässt erfreulicherweise deutlich nach. Damit ist klar, dass diese Schuhe Venedig nicht mehr verlassen werden, zumal sie auch ein Geruchsniveau erreicht haben, das zum Öffnen der Schuhe eine Atemmaske nahe legt. Soweit die körperlichen Aspekte. Nun zu den psychischen.

Ich hätte mir gewünscht, dass ich mit Euphorie dem Ziel entgegen schwebe, doch dieses Gefühl will sich nicht so recht einstellen. Ich forsche in mir und frage mich, warum das so ist und zwei Aspekte kommen mir immer wieder in den Sinn, die ursächlich dafür sein könnten. 

Das Ziel ist so nah – und doch so fern

Auch wenn ich mir mit München-Venedig zu Fuß einen Lebenstraum erfüllt habe, im Gesamtprojekt ist es erst Halbzeit, weil es ja auch wieder zurück nach München gehen soll. Meine körperliche Verfassung bringt viele Zweifel hervor, ob ich überhaupt zurück laufen kann und möchte. Wobei sich die Frage natürlich nicht wirklich stellt, weil Buchungen für Qnigge Walk&Talk Coachings vorliegen. Und dennoch, die Luft ist erst einmal so richtig raus. Die Motivation weiter zu laufen ist auf dem Nullpunkt, so viel kann ich für mich festhalten.

Und natürlich freue ich mich, meine Frau wieder zu sehen, doch meine Gesamtverfassung trübt auch unser erstes Wiedersehen am Flughafen, weil ich nach knapp 10 Stunden über den heißen Asphalt einfach durch bin. Die letzten Schritte durch den Flughafen zum Wassertaxi sind mühsam und schmerzen. Endlich, endlich, endlich kommt die ersehnte Anlegestelle des Wassertaxis. 

Endlich sitzen. Das kleine Boot schaukelt wie eine Hängematte und mir wird ganz langsam klar, ich habe es fast geschafft. Es ist unwirklich, dass es bis zu diesem Augenblick 31 Wandertage und mit Pausen insgesamt 37 Tage gedauert hat, um über eine Strecke von 674km, 27.920 Höhenmetern nach oben und 27.770 Metern nach unten hierher zu kommen. Mir wird klar, dass ich auch erst jetzt tatsächlich begreife und tief in mir fühle, was die Aussage „Der Weg ist das Ziel“ wirklich bedeutet.

Brauchen wir überhaupt Ziele?

Ziele zu erreichen ist wunderbar und jeder von uns kennt es. Als Führungskraft erleben wir es ja ganz besonders, wenn wir Budgets, Vorgaben, Meilensteine erreichen. Das ist ein gutes Gefühl, nur eines passiert zeitgleich, die Luft ist raus und es entsteht eine Leere. Manch einer beschreibt den Zustand nach dem Erreichen von großen Zielen fast als Depression, wenn die Kraft des vor einem liegenden Ziels nicht mehr wirken kann, weil es erreicht ist. Und so erlebe ich erneut, dass es nur zweitrangig um das Erreichen dieses einen Zieles gehen kann. Es geht um viel, viel mehr. Es geht um den Weg und das Erleben in dieser Zeit, die Begegnungen, die Freuden und auch das Leiden und die Ängste. Es geht um das Bewusstsein im jeweiligen Augenblick.

Zeitgleich könnte man auf die Idee kommen, dass es dann gar kein Ziel mehr braucht, wenn doch der Weg das Ziel sein soll. Doch auch diese Frage habe ich für mich sehr klar beantwortet. Ziele geben Orientierung, so wie uns Wegpunkte, Regeln, Vereinbarungen eine Orientierung geben. Zum Thema „Wie bekommen Führungskräfte Orientierung“ schreibe ich noch einen eigenen Artikel und verlinke den hier.

Damit komme ich zu dem Schluss, dass wir beides brauchen:
1. Ziele für die Orientierung (zum Setzen von Zielen habe ich schon einmal geschrieben) und
2. das Bewusstsein für die Momente, die wir auf dem Weg dorthin erleben, wie z.B. das Erreichen von Meilensteinen, die notwendigen Korrekturen, die Begegnungen (wie z.B. hier), die Freuden und auch die Schmerzen (bei Etappe 27 zum Beispiel).
All das wird am Ende eine Ressource, eine Kraftquelle, die wir in uns tragen und für zukünftige Abenteuer in unserem Leben verfügbar haben.

Ziel erreicht: Ankunft in Venedig

So ist die Ankunft in Venedig für mich erneut „nur“ das Erreichen eines Meilensteins. Und diese Erkenntnis erfüllt mich inzwischen mit großer Freude, die ich im Moment der Ankunft nur bedingt empfinden kann, weil die körperlichen Einschränkungen das Erleben überlagern. Das zeigt auch, wie wichtig die Reflektion mit etwas Abstand ist, um alle Facetten zu erfassen. Daher habe ich mir auch angewöhnt, die Blogartikel immer mit etwas zeitlichem Abstand zu schreiben, um den Kern des Erlebten in der Rückschau noch besser erfassen zu können.

Und wie gerne erinnere ich mich an den Moment, an dem das Wassertaxi vom Pier am Airport los macht. Die Schwüle des Tages verfliegt, der Fahrtwind und die Gischt kühlen und die Lagune mit ihren Wasserstraßen zeigt sich in voller Größe, bis die ersten Inseln von Venedig sichtbar werden.

Ich freue mich von Herzen und die Schmerzen sind für den Moment vergessen. Ein buntes Treiben der vielen kleinen und großen Boote, die als Taxi, Bus oder gar als schwimmendes Hotel der Extraklasse vor Venedig unterwegs sind, machen einem sehr schnell klar, dass Venedig eine Stadt ist, die mit nichts auf der Welt vergleichbar ist. Die Fassaden, Paläste, Kirchen und Monumente versetzen uns wie mit einer Zeitmaschine im Nu in ein vor-vorheriges Jahrhundert. Von einer Insel zur nächsten nähern wir uns Schritt für Schritt der Insel San Marco, dem Zentrum Venedigs mit dem Platz aller Plätze. Piazza San Marco, der Markusplatz, das geografische Ziel meiner Reise.

Der Weg war und ist das Ziel

Es ist ein unglaubliches Gefühl, die letzten vielleicht 1.000 Schritte vom Boot zu dieser monumentalen Piazza zu gehen. Auch wenn ich schon Bilder gesehen hatte, es ist nicht zu vergleichen, diese Fassaden, Figuren, Dächer und Fenster live zu sehen, die in ihrer Originalität einfach einzigartig sind.

Meine allerletzte Etappe mit Ziel Venedig

Ich danke dem Schicksal, dass ich diese Reise vom Marienplatz in München (Etappe 1) zum Markusplatz in Venedig erleben darf und mir damit ein Erlebnis geschaffen habe, das mich bis zum Ende meiner irdischen Tage erfreuen, bereichern, erfüllen wird. Venedig – das Ziel von 20 Jahren ist erreicht.
Danke an meine Frau, an Birgit, an Jennifer, an Coachees, Freunde, Geschäftspartner und Wegbegleiter für diesen Weg, der noch lange nicht zu Ende ist.
Und wie ich, bzw. wie wir, Venedig erlebt haben und wie es weiter geht, das beschreiben die nachfolgenden Artikel.

Euer Markus F. Weidner

Videos & Bilder zu Etappe 31

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