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Kilimanjaro Tour 2012

Es ist die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester 2011, eine stille Zeit. Ich freue mich, dass ich die Tage zu Hause verbringe und wie es der Zufall will, kommt mir das Angebot von Steve Kröger, einem Kollegen aus der Trainerbranche, auf den Schreibtisch. KILIMANJARO…..es ist ein magisches Wort, das mir in den letzten Jahren immer wieder begegnet ist und niemals war es so konkret, so nah, so möglich, einfach JA zu sagen, diese Reise endlich einmal anzugehen.

Zeitgleich hatte ich auch immer noch den Gedanken des IRONMAN im Hinterkopf und da heißt es, wenn Du langsam bist und vor dem Zielschluss durchkommen möchtest, dann musst Du 15 Stunden durchhalten. Und so ähnlich las sich die Schlüsseletappe auf den Kilimanjaro, 15 Stunden durchhalten. „Um Mitternacht geht es los, gegen 08:00 Uhr werden wir den höchsten Punkt erreichen und dann kommt der Abstieg von knapp 6.000 Metern über Normalnull zurück bis auf 2.800 Meter über dem Meer. Und dieser Abstieg ist mindestens so hart wie der Aufstieg und kann bis zum späten Nachmittag dauern.“ So ähnlich stand es in der Ausschreibung und für mich liest es sich wie eine körperliche Generalprobe, bevor ich mich auf den Weg zum IRONMAN machen sollte.

 


Kilimanjaro Tour 2012

Eine innere Stimme sagt: „Melde Dich an, jetzt!“. Und so fängt das Abenteuer Kilimanjaro im Dezember 2011 an und zieht sich über 11 Monate durch mein Leben. Ich telefoniere und schreibe mit Steve und bekomme mehr und mehr Lust auf diese Expedition, die Vorbereitung, die Gedanken, die Auseinandersetzung. Und klar ist, es wird eine Reise aus der Komfortzone.

Damit ist das Sportprogramm für das Jahr 2012 klar. Pro Woche mindestens 3 Stunden Ausdauersport! So ist die Ansage vom Veranstalter. Ich freue mich, weil es mich motiviert, wieder regelmäßig die Laufschuhe anzuziehen. Die Zeit vergeht schnell, die Kondition baut sich auf und bald ist November und unsere Reise geht los. Über Amsterdam fliegen wir nach Arusha in Tansania, dem nächstgelegenen Airport am Fuße dieses Berges, der sich noch ziert und nicht gleich auf Anhieb den Blick auf seine weiße Haube preis gibt.

Der erste Tag unserer Expedition ist easy, wir kümmern uns um unser Gepäck, reduzieren auf das, was wir die nächsten Tage am Berg brauchen werden. Da wir die sogenannte Coca-Cola-Route gehen, werden wir in Hütten schlafen, so dass die Träger zumindest keine Zelte schleppen müssen. Der gesamte Tross besteht am Ende aus einer Gruppe von 15 deutschen Abenteurern und 45 Trägern, die Wasser, Lebensmittel und unser Gepäck auf den Berg bringen, damit wir zumindest das nötigste dabei haben. Jeder breitet sein Gepäck auf einer Veranda aus und anhand einer Checkliste stellen wir sicher, dass jeder das dabei hat, was es braucht. Schließlich geht es über 4 Klimazonen und auf knapp 6.000 Metern Höhe ist mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt zu rechnen und da ist es klug, wenn die Trinkflasche und der Trinkschlauch gegen Kälte und Einfrieren geschützt ist und der Vorrat an Kleidung auch diese Temperaturen aushalten lässt.

Noch ist es kaum vorstellbar, dass wir uns in wenigen Stunden Schritt für Schritt auf den Weg machen. Die Reise selbst ist zeitlich sehr kurz gehalten, eigentlich zu kurz, um sich wirklich zu akklimatisieren. Ich bin froh, dass ich die letzten zwei Wochen vor der Abreise jeden Tag mit einem Sauerstoffgerät auf dem Ergometer gesessen bin und durch Reduktion von Sauerstoff bereits meinem Körper signalisiert habe, dass er bald mit weniger Sauerstoff wird auskommen müssen. Es ist von vorneherein klar, dass meistens nicht alle Teilnehmer einer Expedition bis auf Gipfel kommen, weil sie die Höhe nicht vertragen und/oder konditionell nicht die notwendigen Hausaufgaben gemacht haben. Daher hatte ich sogar die Nächte in einem Zelt geschlafen, das durch ein spezielles Gerät mit sauerstoffreduzierter Atemluft versorgt wurde. So hatte mein Körper die Möglichkeit, von einer Nacht zur nächsten in einer simulierten höheren Lage zu schlafen. Über entsprechende Messgeräte konnte ich deutlich erkennen, wie sich Schritt für Schritt der Sauerstoff in meinem Blut reduzierte und das Schlafen auch immer schwieriger wurde, teilweise begleitet durch Kopfschmerzen und leichtes Unwohlsein. Doch diese Übung sollte sich als hervorragende Vorbereitung herausstellen.

Das besondere an dieser Reise ist für mich, dass uns Coach Steve Kröger jeden Tag mit unterschiedlichen Fragestellungen zu uns als Person, zu unseren Zielen, Motiven und persönlichen Herausforderungen konfrontiert hat. Alleine die Frage: „Warum machst Du diese Reise“ ist nicht einfach zu beantworten und in der Gruppe ist schnell zu erkennen, wie vielfältig die Motive der Menschen sind, um sich diesen Strapazen, die vor uns stehen, zu stellen. Gut, dass wir noch nicht wirklich wissen, was auf uns zukommt.

 


Tag 1 der Tour.

Nach 1 ½ Tagen Ankommen in Moshi, unserem Basislager, geht es morgens mit dem Bus zum Startpunkt unserer Wanderung. Wir sind voller Vorfreude und können es kaum erwarten, dass es losgeht. Formalitäten am Zugang zum Nationalpark wollen noch erledigt sein und dann starten wir in einen dichten Regenwald. Die Bäume schlagen über dem Weg zusammen, wir tauchen ein und der Tross setzt sich in Bewegung. „Pole, pole“ ist die Losung. Das heißt so viel wie „langsam, langsam“ und so starten wir in einer fast unerträglichen Langsamkeit und setzten einen Fuß vor den anderen. Es kehrt Ruhe ein, Schritt für Schritt geht es von 1.800 Metern über dem Meer hinaus auf 2.800 Höhenmetern zum ersten Nachtlager. Der Regenwald macht seinem Namen alle Ehre, es ist nass, warm, unangenehm. Wir schwitzen, obwohl es körperlich nicht anstrengend ist und jeder ist geneigt, den Guide um einen schnelleren Schritt zu bitten, weil wir das Gefühl haben, kaum voranzukommen. Doch es gibt einen guten Grund, warum wir langsam laufen. Unsere Körper sollen für das, was in wenigen Tagen von uns abverlangt wird, geschont werden und wer zu schnell startet, der bezahlt es oft mit dem vorzeitigen Abbruch der Reise. Eine Garantie am Gipfel anzukommen gibt es ohnehin nicht, selbst bei sportliche Menschen kommt es vor, dass sie der Höhenkrankheit zum Opfer fallen und vorzeitig umkehren müssen.


Tag 2

Die Langsamkeit setzt sich fort und es beginnt ein Prozess der Gewöhnung. Sind wir am Vortag noch durch den feuchten Regenwald gelaufen, so haben wir heute Glück, die Wolken machen auf und ein blauer Himmel begleitet uns beim Aufstieg von 1.800 Hm auf 2.800 Hm. Die Stimmung ist gut und alle scheinen fit zu sein. Doch der Schein trügt, wie sich noch herausstellen wird. In der Gruppe beginnt eine interessante Dynamik. Es gibt diejenigen, die die Stille nicht aushalten und gerne reden, Fragen stellen und sich in Szene setzen. Und dann gibt es die Zurückhaltenden, die sich nicht formulieren. Immer wieder entstehen Gespräche und ob man will oder nicht, jeder von uns wird immer wieder Zeuge der Gespräche, weil wir als Gruppe zusammen marschieren. Und so bleibt es nicht aus, dass jeder als Trittbrettfahrer in die Gedanken der anderen eintaucht und mithört, was gesprochen wird. Die Themen, die besprochen werden, sind erstaunlich persönlich. Wir kennen uns nicht und geben unsere Ängste, Sorgen und persönlichen Geschichten in den Raum. Immer wieder taucht die Frage auf, schaffe ich es oder muss ich umkehren? Wie werde ich mit dieser Niederlage umgehen? Komme ich zurück und werde ich es dann ein zweites Mal versuchen? Mal werden die Themen angesprochen und mal fühlt man nur, dass diese und viele anderen Fragen durch unsere Köpfe geistern.


Tag 3

Die Langsamkeit setzt sich fort und bereits ab 3.000 Höhenmetern ist spürbar, dass der Sauerstoff weniger wird, die Atmung trotz langsamster Gangart gefordert ist, um den Körper mit dem wichtigsten zu versorgen, was uns am Leben hält. Sauerstoff! Kaum zu glauben, wie achtlos wir im Alltag damit umgehen und wie selbstverständlich gehen wir davon aus, dass wir immer genügend davon haben, ohne zu bezahlten, ohne Verpflichtung, einfach nur einatmen und leben. Jetzt, wo Du diese Zeilen liest, wird Dir vermutlich erstmals heute bewusst, dass Du atmest. Viel zu selten nehmen wir unseren Atem bewusst wahr. Wir nehmen diesen Umstand einfach gedankenlos an, ohne das Wunder, das von der Natur in jedem Bruchteil einer Sekunde in unseren Körpern stattfindet, angemessen zu würdigen. Wir oft sind wir Banausen und gehen einfach achtlos mit unserem Körper um, doch hier wird auf einmal klar, worum es wirklich geht.


Tag 4

Wir haben die Höhe von 3.800 Metern erreicht und werden hier zwei Nächte bleiben, um dem Körper eine Chance zu geben, sich zumindest einigermaßen an die Höhe zu gewöhnen. Walk high and sleep low, so wird das Motto des nächsten Tages lauten. Die Nacht ist unruhig, die Höhe fordert ihren Tribut. Der Puls ist deutlich höher, die Atmung schnell und häufig viel zu flach. Das Essen will nur wiederwillig in den Körper und dennoch ist es wichtig, dass wir ausreichend essen, um die Kohlehydrate, die der Körper verbraucht hat, nachzuschieben. Unglaublich, was die Köche auf dieser Höhe mit einfachsten Mitteln auf die Teller bringen. Und zur Erinnerung, alles, was die gesamte Mannschaft verzehrt und benötigt, das muss händisch von den Trägern mitgeschleppt werden. Wir haben den Vorzug, dass wir uns nur mit 4-5 kg Tagesgepäck und Trinkwasser belasten müssen.


Tag 5

Wir steigen auf über 4.000 Meter Höhe und es wird erstmals empfindlich frisch. Steve fordert uns mit Gruppenaufgaben, so dass wir als Team zusammenwachsen und auf den Tag der Tage vorbereitet sind. Die Luft ist deutlich knapper und leichter Kopfschmerz ist nicht zu verbergen, beim einen mehr, beim anderen weniger. So sind wir froh, dass der Tagesausflug nach wenigen Stunden wieder auf 3.800 Höhenmetern endet und Raum und Zeit bleibt, um sich auszuruhen, Schlaf nachzuholen und Tagebuch zu schreiben. Die Stimmung ist angespannt, denn wir wissen, dass es am nächsten Tag schon auf Höhen geht, die für manchen nicht mehr zu bewältigen sein werden. Alleine an der Atemgeschwindigkeit ist abschätzbar, wie fit und belastbar jeder von uns ist und so mancher pfeift schon gehörig, ja fast beängstigend. Ich bin für mich selbst guter Dinge und bin froh, dass ich keine asthmatischen Symptome (Pfeifgeräusche auf der Lunge und Schleimbildung) ausbilde. Schließlich hat mich diese Krankheit bald 20 Jahre in der Gewalt gehabt.


Tag 6

Die erste wirkliche Prüfung steht vor uns. Den Mount Meru im Rücken und der Blick auf den Kibo, wie der Teil des Berges in der Landessprache heißt, den wir besteigen werden. Lange öde Geröllfelder, pole, pole, langsame Schritte, starker Atem und Müdigkeit begleiten uns. Unglaublich, wie froh ich über diese langsame Gangart bin, die ich an Tag 1 und 2 kaum ertragen hatte. Unser Guide sollte recht behalten, wer zu schnell startet, der kommt definitiv nicht ans Ziel. Ich spüre, dass zwei aus dem Team größte Not haben, zu atmen. Die Lungen pfeifen, der Atem ist schwer und die Beine bewegen sich langsam. Immer wieder braucht es Pausen, doch sie helfen kaum noch. Das Ziel, unser letztes Camp vor dem Aufstieg zum Gipfel, ist zwar zu sehen, doch es ist so mühsam und frustrierend, weil es nicht näher kommt. Die Gruppe hat sich weit auseinandergezogen, weil jeder in seinem Rhythmus geht. Das schlimmste, was wir tun könnten, das ist einem anderen beweisen zu wollen, dass wir noch mithalten könnten. Wer jetzt über seine Kräfte geht oder gehen muss, der wird morgen nicht dabei sein. Auch wenn alle auf ca. 4.800 Metern über dem Meer im Camp ankommen, so richtige Freude kommt nicht auf, weil es zwei Personen im Team sehr schlecht geht. Es wird offensichtlich, dass wir einen Notfall im Team haben. Das schlimmste, was passieren kann, das ist die Ausbildung eines Lungen- oder Hirnödems. Wasser sammelt sich in der Lunge oder im Gehirn und das hat fatale Folgen. Wasser in der Lunge verhindert die Sauerstoffzufuhr und Wasser im Gehirn erhöht den Druck auf die Schädeldecke weil die Hirnmasse aufquillt. Die Schmerzen sind unerträglich, die Atemnot ebenso. Klar ist, dass für einen von uns ein Notabstieg vorbereitet werden muss, d.h. bei Tagesanbruch auf einer Bahre von vier Trägern ins Tal getragen zu werden, um schnellstmöglich aus der sauerstoffarmen Luft herauszukommen. Jeder von uns ist in Sorge und hat zeitgleich das Ohr im eigenen Körper. Ständig steht die Frage im Raum: „Wie geht es mir, was macht die Lunge, was macht der Kopf, werde ich wenigstens etwas Ruhe und Schlaf finden? Kann ich um Mitternacht aufstehen und bin startklar, wenn es auf die Königsetappe geht? Wir liegen auf den Stockbetten im kalten Lager, jeder atmet schwer und es ist spürbar, dass die Menschen im Raum nicht wirklich schlafen. Im Halbschlaf ziehen sich die vier Stunden bis Mitternacht wie Kaugummi.


Tag 7

der Tag der Tage. Wecken ist fast überflüssig, weil wir ohnehin kaum geschlafen haben. Die Temperatur ist deutlich unter null Grad, der Boden mit ganz leichtem Reif überzogen, der Atem deutlich sichtbar. Da es auf dieser Höhe sehr trocken ist, macht die Kälte allerdings wenig aus. Anziehen, einen heißen Tee, ein paar Kekse, Wasser aufnehmen, den Tagesrucksack packen, Stirnlampe, Handschuhe, Stöcke, Riegel, check, check, check, habe ich alles, was ich brauche, um die nächsten 10-11 Stunden zu überstehen. Wie ein Bandwurm stehen wir hintereinander und der Tross schreitet fast im Gleichschritt in die Dunkelheit.

Nach wenigen Metern beginnt der steile Anstieg am äußeren Kraterrand des Kilimanjaro entlang. Unglaublich, wie langsam unsere Schritte sind, Zeitlupe - Schritt für Schritt. Es ist anstrengend, die Atmung ist schnell, Nebel steigt aus dem Mund und fängt sich im Lichtkegel, der auf den Boden, direkt auf die Schuhe des Vordermanns ausgerichtet ist. Nur ein Meter trennt uns vom Vordermann, der Bandwurm ist eng und alle bleiben zusammen. Die Nacht ist stockfinster, die Sterne stehen am Himmel und der Berg ist nur zu erahnen. Mühsam trotten wir den Berg hinauf. Immer wieder bleibt der Tross stehen, kurz ausruhen, Puls beruhigen, Atmung regulieren. Unter den Füßen fühlt sich der steile Berg bedrohlich an und fast bin ich dankbar, dass es so dunkel ist, um nicht zu sehen, wie steil es noch vor uns nach oben geht und wie steil der Berg schon unter uns liegt. Jeder ist bei sich, keiner spricht, Gedanken sind kaum möglich, nur ein Schritt nach dem anderen, das ist die Aufgabe, die zu bewältigen ist. Immer wieder taucht die Frage auf: „Schaffe ich es, komme ich bis zum Gipfel oder muss ich vorher aussteigen und mit Scham behaftet der Gruppe mitteilen, dass ich nicht mehr weiter kann? Und je höher wir kommen und die Nacht ihren Lauf nimmt, kommen uns Menschen aus anderen Gruppen mit einem Guide entgegen, weil sie nicht mehr in der Lage sind, weiter aufzusteigen. Sie haben für sich entschieden, dass ihr persönlich höchster Punkt schon vor dem Uhuru Peak, wie der höchste Gipfel des Kibo genannt wird, erreicht ist. Und jeder leidet innerlich und in Gedanken mit denen, die umkehren müssen. Noch bin ich dabei, doch ich merke, wie ich kämpfen muss. Nach 6 Stunden stetigem Aufstieg ist der erste Gipfel im Licht der aufgehenden Sonne erreicht, der Gillman’s Point. Unfassbar, der Krater des Kilimanjaro liegt vor uns und eine steile Steinwüste hinter uns. Welch eine Freude, welch eine Genugtuung, die mit Worten nicht zu beschreiben ist.

Doch wir sind noch nicht am höchsten Punkt angelangt. Die Entscheidung muss getroffen werden, ob ich mir weitere 2 – 2,5 Stunden zumute, um tatsächlich am höchsten Punkt von Afrika zu stehen. Der Kibo, wie er auf Swahili heißt, liegt am Ende auf 5.895 Metern über dem Meer, also noch weitere 200 Höhenmeter, die es zu überwinden gilt, um auf dem Berg zu stehen, der übersetzt „Der Helle“ genannt wird. Gletscher hüllen den Gipfel in leuchtendes weiß, wobei deutlich wird, wie viel der Klimawandel bereits auch an diesen Gletschern genagt hat. Gehe ich noch den Weg am Kraterrand entlang bis zum Gipfel? Ich entscheide mich weiterzugehen und hätte nicht für möglich gehalten, wie unendlich fordernd 200 Höhenmeter sein können. Mein Atem ist schnell, die Schritte langsam. Die Intensität mit der ich atmen muss, entspricht der eines flotten Dauerlaufs auf meiner Heimatstrecke durch den Stadtwald. Es ist kaum zu fassen, wie viel Energie notwendig ist, um ausreichend Sauerstoff in die Lungen zu pumpen. Gott sei Dank ist es trocken und relativ windstill, so dass nicht noch weitere Schwierigkeiten zu überwinden sind. Gegenseitig motivieren wir uns, stacheln uns an, klopfen uns auf die Schultern, schreien uns an. Immer wieder geht einer von uns auf die Knie, muss sich übergeben, bleibt stehen, hadert, atmet, keucht, kotzt, steht wieder auf und geht langsam weiter. Die Folgen des Sauerstoffmangels sind deutlich zu spüren und der Weg will kein Ende nehmen. Auch wenn die letzten Meter nicht mehr als schön zu bezeichnen sind, die Anstrengung hat sich gelohnt, am Ende 10 Minuten am höchsten Punkt eines der Seven Summits zu stehen, mit dem Wissen, dass es auf dem ganzen afrikanischen Kontinent keinen Punkt gibt, der höher ist als dieser. Es ist magisch und es gelingt mir nicht, die Tränen der Freude und der Erschöpfung zurückzuhalten. Und wenn man denkt, man ist am Ziel, es ist leider nicht die Wahrheit, nur habe ich es bis zum jetzigen Zeitpunkt verdrängt. Der Gipfel des Kilimanjaro ist noch nicht einmal die Hälfte, also nur eine Etappe. Das Tagesziel liegt auf ca. 2.850 Metern über dem Meer, d.h. jetzt gilt es zügig abzusteigen, wenn es doch nur zügig möglich wäre.

Die letzten 8,5 Stunden haben viele Körner gekostet und ich habe einen gravierenden Fehler gemacht, ich habe zu wenig gegessen und das sollte sich auf dem Weg zurück zum Gillman’s Point rächen. Nur mit Mühe schaffe ich es zurück zu dem Punkt, an dem die erste Euphorie ihren Anfang nahm. Erst jetzt komme ich auf die Idee, dass ich unterzuckert sein könnte und mühe mir Riegel in den Körper. Nach einer kurzen Pause geht es mehr schlecht als recht. Jetzt beginnt ein Turboabstieg über steile Geröllfelder, immer gerade aus und bergab. Unglaublich, wie schnell das geht, einfach nur die Füße bewegen, die Schwerkraft macht den Rest. Das, was bergauf knapp 8,5 Stunden gebraucht hat, um an Höhe aufgebaut zu werden, ist in gut 3 Stunden wieder abgebaut. Einfach krass und alle Anstrengung für nur 10 Minuten Gipfelglück! Ist es das wert? Die Antwort ist ein eindeutiges „JA“, weil ich mir mit diesem Projekt und mit dem gelungenen Aufstieg eine persönliche Ressource geschaffen habe, die mir an vielen Stellen im weiteren Leben als Kraftquelle dienen sollte, wie sich später zum Beispiel auf den letzten Kilometern meines ersten IRONMAN und an vielen anderen Stellen herausstellen wird.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt, innerhalb von 2 Tagen schaffen wir es zurück zu unserem Ausgangspunkt im Tal und sind glücklich, dass am Ende alle Teammitglieder gesund sind, auch wenn es nicht alle auf den Gipfel geschafft haben. Doch eines ist klar, jeder hat das geschafft, was ihm oder ihr möglich war und jeder von uns war maximal außerhalb der Komfortzone, das ist gewiss.

Und für jeden, der diese Reise machen möchte, kann ich nur empfehlen, nehmt Euch Zeit und startet pole, pole, langsam, langsam und ihr werdet eine unglaubliche Erfahrung machen, die bis zum Ende Eurer Tage in Euch wirken wird. Ich sage danke an alle Teammitglieder für die Unterstützung, die Kameradschaft, die Tränen und den Trost, die Erkenntnisse und die Kraft, die mir diese Reise für das weitere Leben gibt.

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